Am 4. und 5. November 2022 fand in Santa Maria di Leuca die vierte nationale Tagung der italienischen Sektion der Schopenhauer-Gesellschaft statt. Schopenhauer zwischen Kunst und Literatur war das Thema der Tagung, die vom Centro interdipartimentale su Schopenhauer e la sua scuola der Università del Salento gefördert wurde. Die Tagung wurde von einem wissenschaftlichen Kuratorium organisiert, das aus den Professoren Domenico M. Fazio, Fabio Ciracì, Mario Carparelli und der Doktorin Giulia Miglietta bestand. Unter den Referentinnen und Referenten waren u. a. der Präsident der Schopenhauer-Gesellschaft Frankfurt am Main, Prof. Matthias Koßler, die Geschäftsführerin der Kant-Forschungsstelle der Universität Mainz, Dr. Margit Ruffing, und Mitglieder der italienischen Schopenhauer-Forschungsstelle.
Die diskutierten Vorträge waren sehr heterogen, jedoch durchzogen von gemeinsamen Fragestellungen, wiederkehrenden Begriffen und ähnlichen Deutungsansätzen, die mit den Makrothemen der Ästhetik und Literatur verbunden sind. Ein Teil der Vorträge untersuchte Aspekte von Kunst und Literatur innerhalb der schopenhauerschen Philosophie, während ein anderer Teil den Einfluss des schopenhauerschen Denkens auf Kunst, Literatur und Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts thematisierte. Man kann entsprechend einen doppelten hermeneutischen Blick ausmachen: einerseits auf Schopenhauers Werke, andererseits auf ihre Wirkungsgeschichte.
Die Tagung wurde mit einem Vortrag von Giuseppe Invernizzi über Schopenhauer und die Musik eröffnet, der einige entscheidende Fragen der schopenhauerschen Ästhetik behandelte und kontrovers diskutiert wurde: Was sind die Ideen? – nebenbei der Titel seines Vortrags – fragte Marco Segala, der eine aristotelische Deutung von Schopenhauers „platonischen“ Ideen vorschlug und auch die Veränderung des Begriffs der Idee, als species, in der Naturphilosophie herausstellte. Musik drücke im Gegensatz zu anderen Kunstformen nicht eine Idee aus, sondern den Willen. Nach Auffassung von Invernizzi ist eine Musik, die den Willen verneint, aber nicht möglich. Vor dem Nichts bleibt die Stille, brachte Giulia Miglietta als Gedanken ein, denn tatsächlich ist Mystik als unmittelbare Erkenntnisform nicht kommunizierbar, sondern nur erfahrbar. Domenico M. Fazio unterstrich, dass die Musik die Metaphysik sagt, und dass die wahre Musik für Schopenhauer die symphonische Musik ist. Fazio hat entsprechend die Unterschiede zwischen Schopenhauers Musikinterpretation und der Musikauffassung bei Denkern der Schopenhauer-Schule stricto sensu herausgestellt. Als Beispiel führte er Wagner und Frauenstädt an: Während bei Schopenhauer Musik unabhängig vom Text ist, muss bei Schopenhauerianern wie Wagner und Frauenstädt die Musik mit dem Wort vereint sein. Dagegen ist Schopenhauers Meinung nach das klare Wort, das den Gedanken adäquat ausdrückt, die Grundvoraussetzung von Literatur und Philosophie. Dieser literarische und künstlerische Aspekt wurde im Vortrag von Fiorella Giaculli thematisiert.