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Von Indien nach Rumänien, zwischen Religion und Logik - Schopenhauerianer unterwegs


17. Januar 2023 | Gastbeitrag

Von Jens Lemanski

Schopenhauer hat sich in der gesamten Zeit seines Schaffens intensiv mit den Religionen der Welt auseinandergesetzt, mit dem Christentum, dem Buddhismus, dem Islam, dem Hinduismus, dem Judentum und anderen religiösen Strömungen. Schopenhauers Philosophie wird dabei oftmals von Interpreten in stark gegensätzliche Beziehung zu den einzelnen Religionen gesetzt. Eine schöne Illustration dieses Spannungsverhältnisses zeigt sich, wenn man auf Ernst Bloch und Fritz Mauthner schaut: Während Bloch Schopenhauer als ‚den christlichsten Philosophen‘ bezeichnete, nannte Mauthner ihn den ‚Fürsten der Atheisten‘. Schopenhauer selbst unterlag nicht nur der zu seiner Zeit starken Anziehungskraft der indischen Religionen, sondern sah in späten Jahren auch selbst eine Affinität seiner Philosophie zum Buddhismus. Grund genug, um der Frage nach dem Verhältnis Schopenhauers zu den Religionen nachzugehen.


Weltkongress in Indien

Eine derartige Spurensuche führte mehrere Mitglieder der Schopenhauer-Gesellschaft Anfang November 2022 nach Indien. Im Rahmen des 3rd World Congress on Logic and Religion (3rd WoCoLoR 2022), der vom 4. bis 8. November 2022 in Indien stattfand, organisierte die Schopenhauer-Gesellschaft einen Workshop zum Thema Logic and Religion in Schopenhauer. Neben dem Organisator Jens Lemanski reisten von der Schopenhauer-Gesellschaft Christopher Ryan, Jean-Yves Beziau und der keynote speaker Thomas Regehly nach Indien. Veranstaltungsort war die Banaras Hindu University in Varanasi (auch bekannt unter den Namen ‚Benares‘ und ‚Kashi‘). Die Stadt im ostindischen Bundesstaat Uttar Pradesh liegt direkt am Ganges und gilt als spirituelles Zentrum des Hinduismus. Noch innerhalb der Stadtgrenzen befindet sich der Ortsteil Sarnath, der als einer der wichtigsten buddhistischen Wallfahrtsorte gilt. Dort, wo heute die Dhamek Stupa steht, soll Gautama Buddha seine erste Predigt über die Grundprinzipien des Buddhismus gehalten haben. Der Veranstaltungsort des 3rd World Congress on Logic and Religion war somit ideal, um dort den Workshop zu Schopenhauer in die Reihe der anderen sieben Workshops zum Thema Logik und Religion einzugliedern. Das zeigte sich auch an dem regen Interesse der Kongressbesucher: Die Vorträge waren sehr gut besucht und zu Spitzenzeiten konnten um die hundert Besucher gezählt werden, die selbst keinen Vortrag zu Schopenhauer hielten, aber ein starkes Interesse an dem Workshop hatten. Dies schlug sich auch in den behandelten Fragen und lebhaften Diskussion nieder: Ist die Logik eine Vorschule der religiösen Erlösungslehre? Verlangt die Mystik ein theoretisches Wissen, das über das der Logik und Philosophie hinausgeht? Wie lassen sich religiöse Praktiken mit den Methoden der schopenhauerschen Logik analysieren?

Logik und Religion

Die Verbindung von Logik und Religion erscheint zunächst ungewöhnlich, auch wenn beide Disziplinen schon immer ein enges Verhältnis zueinander hatten. Bereits Schopenhauer war klar, dass den Philosophen nur rationale Methoden bei der Untersuchung der Religionen zur Verfügung stehen, wenn sie nicht selbst religiöse Anhänger sind. Letzteres, so das geflügelte Bonmot Schopenhauers, ist allerdings ausgeschlossen, da man nicht beiden Herren, der Wahrheit und Gott, zugleich dienen kann. Schopenhauer war aber nicht nur selbst an den Religionen interessiert, sondern immer wieder hat sich auch die Frage gestellt, inwiefern Schopenhauers Philosophie selbst religiöse Züge enthält. Die Verbindung zur Logik liegt dabei auf der Hand, da durch die Wiederentdeckung der schopenhauerschen Vorlesungen zur Logik in den letzten Jahren beide Disziplinen nun in einem ganz neuen Licht betrachtet werden können.

Auch die Logic and Religion Association hat es sich auf die Fahnen geschrieben, die Beziehung zwischen Logik und Religion, zwischen Vernunft und Glaube, zwischen rationalen Methoden und göttlicher Offenbarung zu untersuchen. Man muss daher weder formaler Logiker noch bekennender Anhänger einer Religion sein, um den Weltkongress in vollen Zügen genießen zu können. Es ist der Austausch und die Suche nach den Verbindungen der beiden Disziplinen, die den Besuch der Weltkongresse zu einem unvergesslichen Erlebnis werden lässt.


Spurensuche in Rumänien

Und die Suche nach den religiösen und logischen Wurzeln in der schopenhauerschen Philosophie soll weitergehen. Am 12. Januar 2023 hielt Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Birnbacher, der Vizepräsident der Schopenhauer-Gesellschaft, im Rahmen des UNESCO World Logic Day einen Online-Vortrag mit dem Titel Three directions of the criticism of religion – with special reference to Schopenhauer's critique of religion im Rahmen des Webinars der Logic and Religion Association und legte dabei einen besonderes Fokus auf die Philosophie Schopenhauers (Link zum Vortrag auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=zezc5TqhAyY). 

Die Einbindung des Workshops in den dritten Weltkongress kann als Auftakt für weitere Kooperationen zwischen der Schopenhauer-Gesellschaft und der Logic and Religion Association verstanden werden. Geplant ist ein weiterer Workshop während des 4th World Congress on Logic and Religion, der vom 18. bis 23. September 2023 in Sinaia, Rumänien stattfinden wird (https://www.logicandreligion.com/4th-world-congress). Dies ist in mehrfacher Hinsicht eine Chance, das Spektrum der schopenhauerschen Themen zu erweitern und zu intensivieren. Man denke nur an die bislang kaum erforschte Schopenhauer-Rezeption in den Schriften der früheren rumänischen Königin Elisabeth zu Wied, die einen intensiven Unterricht in der Logik genossen hat. 

Anfang 2023 wird ein Call for workshop veröffentlicht, der es besonders Doktoranden und frühen Post-Docs ermöglichen soll, sich an der Organisation des Workshops in Rumänien zu beteiligen. Ein Call for paper für die Konferenzteilnahme soll spätestens im Frühjahr 2023 bekanntgegeben werden. |


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