Schopenhauer hat sich in der gesamten Zeit seines Schaffens intensiv mit den Religionen der Welt auseinandergesetzt, mit dem Christentum, dem Buddhismus, dem Islam, dem Hinduismus, dem Judentum und anderen religiösen Strömungen. Schopenhauers Philosophie wird dabei oftmals von Interpreten in stark gegensätzliche Beziehung zu den einzelnen Religionen gesetzt. Eine schöne Illustration dieses Spannungsverhältnisses zeigt sich, wenn man auf Ernst Bloch und Fritz Mauthner schaut: Während Bloch Schopenhauer als ‚den christlichsten Philosophen‘ bezeichnete, nannte Mauthner ihn den ‚Fürsten der Atheisten‘. Schopenhauer selbst unterlag nicht nur der zu seiner Zeit starken Anziehungskraft der indischen Religionen, sondern sah in späten Jahren auch selbst eine Affinität seiner Philosophie zum Buddhismus. Grund genug, um der Frage nach dem Verhältnis Schopenhauers zu den Religionen nachzugehen.
Weltkongress in Indien
Eine derartige Spurensuche führte mehrere Mitglieder der Schopenhauer-Gesellschaft Anfang November 2022 nach Indien. Im Rahmen des 3rd World Congress on Logic and Religion (3rd WoCoLoR 2022), der vom 4. bis 8. November 2022 in Indien stattfand, organisierte die Schopenhauer-Gesellschaft einen Workshop zum Thema Logic and Religion in Schopenhauer. Neben dem Organisator Jens Lemanski reisten von der Schopenhauer-Gesellschaft Christopher Ryan, Jean-Yves Beziau und der keynote speaker Thomas Regehly nach Indien. Veranstaltungsort war die Banaras Hindu University in Varanasi (auch bekannt unter den Namen ‚Benares‘ und ‚Kashi‘). Die Stadt im ostindischen Bundesstaat Uttar Pradesh liegt direkt am Ganges und gilt als spirituelles Zentrum des Hinduismus. Noch innerhalb der Stadtgrenzen befindet sich der Ortsteil Sarnath, der als einer der wichtigsten buddhistischen Wallfahrtsorte gilt. Dort, wo heute die Dhamek Stupa steht, soll Gautama Buddha seine erste Predigt über die Grundprinzipien des Buddhismus gehalten haben. Der Veranstaltungsort des 3rd World Congress on Logic and Religion war somit ideal, um dort den Workshop zu Schopenhauer in die Reihe der anderen sieben Workshops zum Thema Logik und Religion einzugliedern. Das zeigte sich auch an dem regen Interesse der Kongressbesucher: Die Vorträge waren sehr gut besucht und zu Spitzenzeiten konnten um die hundert Besucher gezählt werden, die selbst keinen Vortrag zu Schopenhauer hielten, aber ein starkes Interesse an dem Workshop hatten. Dies schlug sich auch in den behandelten Fragen und lebhaften Diskussion nieder: Ist die Logik eine Vorschule der religiösen Erlösungslehre? Verlangt die Mystik ein theoretisches Wissen, das über das der Logik und Philosophie hinausgeht? Wie lassen sich religiöse Praktiken mit den Methoden der schopenhauerschen Logik analysieren?