Das vorliegende Buch enthält zwölf Aufsätze zu Schopenhauer aus dreieinhalb Jahrzehnten. Hervorgetreten ist der Autor zunächst mit seiner Dissertation „Schopenhauers Philosophie der Naturwissenschaft“ (1985), worin er neben den Theorien der Kausalität und Materie auch Schopenhauers Sicht von Wesen und Grenzen der naturwissenschaftlichen Methoden analysiert hat. In den späteren Aufsätzen hat er sich ebenfalls mit den erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Auffassungen Schopenhauers, aber auch mit dessen Beiträgen zu metaphysischen, anthropologischen und ethischen Fragen befasst.
Die Aufsätze des Bandes sind nicht chronologisch, sondern thematisch in vier großen Themenblöcken angeordnet. Der erste Themenbereich besteht in Schopenhauers Einstellung zur Aufklärung und in seinem Verhältnis zum aufklärerischen Denken insgesamt. Der Aufsatz „Schopenhauer und die Tradition der Aufklärung“ zeigt, dass Schopenhauer, ungeachtet seiner religiös-mystischen Hintergrundideen, eine positive Grundhaltung zur Aufklärung hat und im Geiste der Aufklärung sich auch kritisch mit der nachkantischen Philosophie auseinandergesetzt hat. Gerade wegen seiner rational-aufklärerischen Grundhaltung wird Schopenhauer, wie der Aufsatz „Schopenhauer und der kritische Rationalismus“ verdeutlicht, auch von kritischen Rationalisten wie Karl Popper und Hans Albert überraschend positiv wahrgenommen.
Der zweite Themenbereich umfasst Aufsätze zur Erkenntnistheorie Schopenhauers, wobei das zentrale Anliegen des Autors darin besteht zu zeigen, dass Schopenhauer vom Idealismus zur Wissenschaftstheorie fortschreitet. Der Aufsatz „Schopenhauers Theorie des Satzes vom Grunde als Aprioritätslehre“ untersucht, wie Schopenhauer mit seiner Theorie des Satzes vom Grunde einerseits die Komplikationen von Kants transzendentalem Idealismus hinter sich lässt und dadurch zu einer elegant vereinfachten Aprioritätslehre gelangt, aber zugleich durch die idealistische Deutung dieser Lehre sich in die bekannte Zirkelproblematik von Intellekt und Gehirn verstrickt, die in seiner Theorie der empirischen Anschauung deutlich hervortritt. Ausgesprochen kritisch befasst sich der Autor sodann mit „Schopenhauers Kritik des Materialismus“, wobei er Schopenhauers idealistische Argumente, ihrer Popularität ungeachtet, als unhaltbar nachzuweisen versucht. In dem Aufsatz „Die Grenzen der Naturwissenschaft und die Aufgabe der Metaphysik“ führt der Autor das Kernanliegen seiner Dissertation fort, indem er zeigt, wie Schopenhauer durch seinen Versuch, mit den prinzipiellen Grenzen der Naturwissenschaften zugleich die Aufgabe der Metaphysik nachzuweisen, zu einem Pionier moderner Wissenschaftstheorie geworden ist.
Der dritte Themenschwerpunkt der Aufsätze ist Schopenhauers Metaphysikkonzeption. Bekanntlich ist Schopenhauer trotz seiner weitgehenden Anknüpfung an Kants Vernunftkritik, ähnlich wie die von ihm verachteten deutschen Idealisten, zu einer neuen Metaphysik gelangt. Die vom Autor betonte Eigenart des Metaphysikers Schopenhauer besteht nun darin, dass er, obwohl er eine idealistische Aprioritätslehre vertritt, in seiner Metaphysik doch den Anschluss an die modernen Naturwissenschaften sucht. Wenngleich seine metaphysischen Auffassungen sich inhaltlich nicht selten als fragwürdig erweisen, befindet sich Schopenhauer doch auf dem Weg zu einer "erfahrungsgestützten Metaphysik“. Besonders wichtig ist in dieser Hinsicht, wie der Autor in dem Aufsatz „Schopenhauers Begriff der Metaphysik und seine Bedeutung für die Philosophie des 19. Jahrhunderts“ verdeutlicht, dass Schopenhauer durch eine scharfsinnige Kritik an Kants Metaphysikbegriff zur Konzeption einer empirisch verwurzelten, hypothetisch verfahrenden Metaphysik gelangt, wodurch er auch zum Begründer eines modernen induktiv-hypothetischen Metaphysikverständnisses geworden ist. In dem Aufsatz „Schopenhauers Grundlegung der Metaphysik“ geht es um die Frage, welche einzelnen Schritte bei Schopenhauers Begründung der Metaphysik zu unterscheiden sind, aber auch darum zu klären, wie sich sein Bemühen um eine erfahrungsbasierte Metaphysik hier geltend macht. Um Schopenhauers Bestreben, den Anschluss an die Naturwissenschaften zu finden, geht es auch in dem Aufsatz „Schopenhauers Schrift Ueber den Willen in der Natur“. Kritisch unter die Lupe genommen wird vor allem sein Anspruch, dass seine Willensmetaphysik durch die Naturwissenschaften bestätigt worden sei. Der Aufsatz „Schopenhauers Metaphysik – zwischen Forschungsprogramm und Pseudoerklärungen“ stellt eine Art Fazit der Auseinandersetzungen des Autors mit Schopenhauers Metaphysik dar. Gezeigt wird, wie Schopenhauer einerseits, irregeführt durch seinen Idealismus, zu fragwürdigen Thesen und Pseudoerklärungen gelangt, aber andererseits auch eine Reihe von fruchtbaren, zukunftsweisenden Ideen zu anthropologisch-psychologischen Themen entwickelt.
Im vierten Themenschwerpunkt geht es um Fragen der Anthropologie und Ethik, die einen engen Bezug zur Metaphysik haben. Der Aufsatz „Der Mensch als animal metaphysicum bei Schopenhauer“ befasst sich mit seiner Sicht von der historischen und sozialen Rolle der Religionen und insbesondere auch mit seiner Einschätzung der Zukunft der Religion(en). In Schopenhauers Auffassung vom Menschen als Sinnsucher wird neben seiner aufklärerisch-kritischen Einstellung gegenüber den Religionen auch die gegenläufige Tendenz seines Denkens zu einer Harmonisierung von Philosophie und Religion deutlich. Der Aufsatz „Die metaphysischen Wurzeln der Moral bei Schopenhauer“ befasst sich zunächst mit dem Anspruch Schopenhauers, normative Ethik durch eine Psychologie moralischen Handelns zu ersetzen, und sodann mit seinen Auffassungen von Mitleid und Freiheit als metaphysischen Prinzipien der Ethik. In dem abschließenden Aufsatz „Schopenhauers Lehre vom Glück“ wird gezeigt, dass Schopenhauer nicht nur eine mit seiner pessimistischen Metaphysik konform gehende Unglücksvermeidungslehre entwickelt, sondern auch Ansichten über den Eigenwert eines von geistigen Interessen bestimmten Lebens vertritt, die mit seinem Pessimismus kaum vereinbar sind.
Die Aufsätze dieses Bandes machen deutlich, dass Schopenhauers Philosophie in vielerlei Hinsicht ein Janusgesicht hat. Einige zentrale Lehren seiner Erkenntnistheorie, Metaphysik und Ethik erweisen sich unter systematischen Gesichtspunkten als traditionsverhaftet und fragwürdig, doch zugleich gibt es zahlreiche positive Elemente in seiner Philosophie und vor allem Vorstöße zu modernen philosophischen Positionen. Wer sich mit den erkenntnistheoretischen, metaphysischen und anthropologischen Grundlagen von Schopenhauers Philosophie beschäftigen möchte, kann in diesen Aufsätzen Hilfe und Anregung finden.
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