Das Buch ist die englische Übersetzung (mit einigen Verbesserungen und Ergänzungen) von Il giovane Schopenhauer. L’origine della metafisica della volontà
(Milano-Udine 2018). In dieser Studie werden die Manuskripte Arthur Schopenhauers analysiert, in denen die lange und komplexe Entstehung seines Systems dokumentiert ist. Die Forschung hat seit langem auf die Relevanz dieses Materials hingewiesen, denn hier erscheinen die Grundthesen der reifen Schriften Schopenhauers in ihrer frühesten Formulierung und somit in ihrer nackten und ursprünglichen Direktheit. Die Lektüre dieser Hefte ermöglicht es daher, jene spekulativen Züge im Keim zu beobachten, die in den veröffentlichten Werken in einer so faszinierenden und leuchtenden stilistischen Vollständigkeit erscheinen, dass sie einer begrifflichen Analyse erheblichen Widerstand leisten.
Das Buch ist in vier Teile gegliedert. Im ersten und zweiten Teil wird die philosophische Bildung des jungen Schopenhauer detailliert rekonstruiert, indem die Werke nachgezeichnet werden, die seine frühe spekulative Denkweise angeregt und zugleich stark geprägt haben. Dabei wird immer wieder die Eigenständigkeit und die im Grunde rebellische Art hervorgehoben, mit der der junge Philosoph das Denken dieser Autoren interpretiert und nutzt, indem er es von Anfang an seinen eigenen spekulativen Zielen unterordnet und damit einen bereits sehr entschiedenen philosophischen Charakter, ja sogar ein philosophisches Timbre zeigt. Der dritte Teil behandelt Schopenhauers ersten Versuch, eine neue nachkantische Metaphysik zu entwerfen: die Theorie des „besseren Bewusstseins“. Der vierte Teil zeigt, wie die inneren Widersprüche dieser Theorie und die entscheidende Begegnung mit dem Oupnek’hat
ihn dazu brachten, seinen ersten Systemversuch aufzugeben und seine Metaphysik des Willens zu entwickeln.
Bei der Rekonstruktion dieses Prozesses wird versucht, sowohl das Studium und die Prägung durch die westliche Philosophie, als auch durch die indische Weisheit zu berücksichtigen, um eine einseitige Deutung (in beide Richtungen) zu vermeiden. Die durchgeführte Untersuchung beschränkt sich jedoch nicht auf die philologische Analyse der Texte, sondern widmet sich auch dem theoretischen Bereich, indem sie sich mit der Aporetik des reifen Systems und dem Problem seiner Begründung auseinandersetzt. Denn die Art und Weise, wie Schopenhauer seine Willensmetaphysik in den veröffentlichten Werken rechtfertigt, unterscheidet sich wesentlich von der Art und Weise, wie er sie ursprünglich aufgebaut hat. Diese Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Entstehung der Lehre und ihrer späteren Begründung in den gedruckten Werken ist das Ergebnis eines umfassenden Formalisierungs- und Kohärentisierungsprozesses (in den Jahren 1815–1818 unternommen), der einerseits die Darstellung des Systems eleganter und strukturierter machte, andererseits aber dazu führte, dass einige entscheidende Momente seiner logischen Struktur verschleiert wurden. Die Analyse und Diskussion jener Diskrepanz dient im letzten Kapitel als Schlüssel zur Erklärung der Aporetik des reifen Systems.
Es wird hier zwar nicht versucht, die Aporien des Systems aufzulösen, d.h. zu eliminieren; vielmehr geht es darum, sie zu erklären, d.h. auf diejenigen genetischen Umstände zurückzuführen, vermöge derer ihr Auftreten unvermeidlich war; und es sind einige von Schopenhauer selbst formulierte Sätze, die hier als Erklärungsprinzipien dienen.
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